Jeder kennt ihn oder hatte ihn schon mal. Der Freund der immer dann anruft, wenn man gerade keine Zeit hat, der Freund, der bei einer Einladung am frühsten kommt und dann nicht mehr nach Hause geht, der Freund, der immer alles wissen und kommentieren muss, ob man es hören will oder nicht. Der Freund, der einfach manchmal zu viel Zeit mit uns verbringen möchte und uns dadurch lästig ist. Ja genau, dieser eine Freund kann uns ziemlich auf die Nerven gehen durch seine aufdringliche Art.
Doch habt ihr euch schon mal gefragt, ob nicht auch ihr manchmal so ein Freund seid?
Ich sehe viele Menschen mit ihren Pferden. Und immer wieder treffe ich auf Menschen, die ihr Pferd stolz als ihren "Freund" bezeichnen und diese Freundschaft wirklich leben. Doch ist es gut mit seinem Pferd befreundet zu sein? Meiner Meinung nach muss hier ganz klar eine Grenze gemacht werden. Ein Freund ist ein netter Wegbegleiter, der gerne Zeit mit mir verbringt, dem ich aber nicht folgen muss, wenn ich nicht will, der freiwillig Zeit mit mir verbringt und mich nimmt wie ich bin. Und genau hier beginnt das Übel vieler Pferd-Mensch-Beziehungen. Ich erlebe bei vielen Menschen, dass sie ihr Pferd als Freund sehen. Sie betüddeln das Pferd, verbringen Stunden mit ihm beim Putzen, lassen sich von ihm spazieren führen und begleiten es sogar in der Box oder auf der Weide stundenlang. Sie sind der Meinung ihr Pferd genießt ihre Anwesenheit, genauso wie sie seine und sehen das Ganze als Freundschaftspflege. Doch so wirklich freiwillig verbringt kein Pferd ewig lang Zeit am Putzplatz oder mit dem Menschen in seiner Box. Denn beobachte ich die verschiedenen Pferde bei all diesen Freundschaftsaktivitäten, kann ich meist Pferde sehen, die null Interesse an ihrem menschlichen "Freund" zeigen. Sie sind sichtlich gelangweilt von täglichen Programm, zerren ihren Menschenfreund gerne mal zum Gras oder bleiben beim einfachen Führen felsenfest stehen, in der Hoffnung dem Freundschaftswahnsinn entgehen zu können. Der Menschenfreund hat dann natürlich Verständnis und versucht mit lieben Worten - und in den meisten Fällen sogar Leckerli-Bestechung - das geliebte Pferd vorwärts zu bewegen. Doch hat das Pferd wirklich Angst in einer Situation wird es auf der Stelle kehrt machen und die Flucht ergreifen. Denn wie bereits in einem vorherigen Blogeintrag beschrieben, sind Pferde noch immer Fluchttiere und ein Mensch der ihnen zwar ein vermeintlich guter Freund ist, kann dem Tier jedoch niemals die Sicherheit vermitteln wie ein Leittier. Pferde sind zwar domestiziert und leben seit langer Zeit mit uns Menschen zusammen, jedoch haben sie angeborene Verhaltensweisen und Instinkte, welche in bestimmten Situationen zum Einsatz kommen. Und so ist es nun mal in den Genen festgelegt, dass Pferde Herdentiere sind welche das Leben in einer Gruppe mit Rangordnung brauchen. Sie benötigen eine Rangordnung, um sich sicher fühlen zu können. Wären alle Pferde gleichgestellt innerhalb des Herdenverbandes, würde dieser mit großer Gewissheit nicht funktionieren, da es somit kein Leitpferd gäbe, das den Weg vorgibt.
Da Pferde ein angeborenes Sozialverhalten haben und Wissenschaftler herausfanden, dass Hauspferde auch den Menschen in ihr tägliches Sozialverhalten miteinbeziehen, ihn also als einen „sozialen Partner“ sehen, stufen sie diesen auch rangmäßig ein. Der Menschenfreund, der sich nie durchsetzt, dem Pferd jedoch immer mit seiner übermäßigen Anwesenheit „auf die Nerven geht“ – ja der wird nie ranghöher sein. Er wird immer „Freund“ sein, meist sogar rangniedriger in den Augen des Pferdes.
Auch kann ich oft beobachten, dass Pferde, solcher Menschen oft auch absolut desinteressiert sind an allem was mit dem Menschen zu tun hat. Dieses ausgeprägte Desinteresse lässt sich darauf zurückführen, dass das Pferd nie ein positives Erlebnis mit dem Menschen hat. Auch wenn es aus menschlicher Sicht schön scheint mit dem Pferd viel Zeit beim Putzen zu verbringen, für das Tier wäre es schöner diese Zeit bei einem gemeinsamen, entspannten Ausritt oder auf der Koppel mit seinen Artgenossen zu verbringen. Kein Mensch wird jemals den Sozialpartner Pferd ersetzen können. Und ob die gemeinsame Zeit des Menschen positiv für das Tier ist, entscheidet immer noch das Tier selbst ;-)
Ständiges Rumzerren am Pferd und ein „Nicht-in-Ruhe-lassen“ kann sehr unangenehm sein für das Tier, es versteht die Situation schlichtweg nicht. Es steht still, gibt brav Hufe für eine lange Zeit und bekommt dafür jedoch keine Belohnung. ACHTUNG: mit Belohnung meine ich nicht das ständige Füttern von Leckerlis. Mit Belohnung meine ich zum Beispiel Ruhe, nach einer gewissen Zeit das Pferd wieder in seine Gruppe zu den Artgenossen „entlassen“ oder ihm Zeit auf der Koppel gönnen. Ich gehe davon aus, dass jeder der ein Pferd besitzt, dieses wirklich mag und gerne Zeit mit ihm teilt. Doch sich ab und zu mal Gedanken darüber zu machen, ob das was mir Freude macht auch das ist was meinem Pferd Freude macht, finde ich einen guten Ansatz. Antropomorphes Verhalten, also die Vermenschlichung gegenüber unserer Pferde kann zu unerwünschten Verhaltensweisen und massiven Problemen im Umgang und Training führen. Denn nicht das Pferd muss verstehen wie wir ticken, sondern wir müssen verstehen wie Pferde denken und was ihrem natürlichen Verhalten entspricht.
Ich halte somit fest, dass mein Pferd zwar auf eine gewisse Art und Weise mein Partner ist und mich auch als sozialtaugliches Herdenmitglied akzeptiert, es jedoch für mich und auch mein Pferd Probleme bereitet, wenn es mich nur als „Freund“ sieht. Um eine stabile Beziehung zum Pferd aufbauen zu können muss ich ihm Sicherheit vermitteln können und das geht nur dann, wenn es mich als ranghöher akzeptiert.
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